Posts Tagged ‘Jurko Prochasko’

Von Mythen, Märchen und Realpolitik

Juni 3, 2014

Am 20. Mai ging die sechsteilige Veranstaltungsreihe Die Ukraine. Europäische Reflexionen der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) mit einem Podiumsgespräch im völlig überfüllten Großen Saal des Literaturhauses Berlin zu Ende. Unter dem Titel Ukraina – Kultur an der Grenze. Der Grenzraum als Kontaktzone diskutierten Jurko Prochasko (Germanist, Essayist und Übersetzer aus Lemberg), Andrej Kurkow (Schriftsteller aus Kiew) und Manfred Sapper (Chefredakteur der Zeitschrift OSTEUROPA aus Berlin).

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Auf dem Podium im Literaturhaus Berlin: Andrej Kurkow, Manfred Sapper und Jurko Prochasko (von links nach rechts) © Jurkiewicz/DGO

Im Fokus des Gesprächs hätte eigentlich – so war im Ankündigungstext zu lesen – „die Spezifik der Kultur und der ukrainischen literarischen Landschaft“ mit ihrem „reichen historischen Erbe, ihrer Mehrsprachigkeit, Multikulturalität“, die von Schriftstellern und Intellektuellen wie Prochasko und Kurkow so „virtuos“ genutzt wird, stehen sollen. Doch wie bereits bei der Veranstaltung in der Woche zuvor wurde auch das Vorhaben dieses Abends von den realen Ereignissen in der Ukraine ein- und überholt, so dass das Nachdenken über die Ukraine als kultureller Grenzraum im Ansatz stecken blieb. Wer weiß, vielleicht hätte der Abend einen anderen Verlauf genommen, wenn – wie ursprünglich geplant – Serhij Zhadan gekommen wäre. Hätte doch er – neben Prochasko als westukrainischem Autor, der auf Ukrainisch schreibt, und Kurkow als zentralukrainischem Schriftsteller, der in seiner Muttersprache Russisch schreibt – als ostukrainischer Schriftsteller, der auf Ukrainisch schreibt, das Bild der „babylonischen Sprachverwirrung по-українськи“, die Volodymyr Kulik kürzlich in seinem Vortrag Sprache und Nation erläutert hat, perfekt gemacht. (more…)

Aufruf zum Dableiben. Serhij Zhadan las in Zürich aus seinem neusten ins Deutsche übersetzten Roman „Die Erfindung des Jazz im Donbass“.

März 4, 2013

Die Lesung mit dem ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan bildete den Schluss- und gleichzeitigen Höhepunkt des diesjährigen Kritikerworkshops im Literaturhaus Zürich. Sie begann mit einer empathischen Hommage an Zhadan durch den Moderator Jurko Prochasko. Der Übersetzer, Autor und Literaturwissenschaftler Prochasko nannte sich neben Zhadan ‚durch Ehrfurcht behindert’ und bezeichnete sich von da an – nicht ohne ein Augenzwinkern – nur noch als ‚Suggerator’. Die Diskrepanz jedoch, die zwischen der einleitenden Lobeshymne und dem daneben sitzenden fast unscheinbaren Zhadan entstand, erzeugte eine seltsame Komik. Im Verlauf des Gesprächs wurde klar: Zhadan scheint keine Ambitionen zu haben, sich zum Mythos zu stilisieren oder ein romantisches Bild des Künstler-Genies heraufzubeschwören.
LiteraturhausZH-Lesung ZhadanAls hätte er seine Texte soeben aus dem Internet runtergeladen, las Zhadan aus einem Kindle E-Book-Reader. So wurde seine Stimme beim Lesen nie durch das Rascheln vom Seitenumblättern unterbrochen, was seine Sprache noch dichter zu machen schien.
In seinem neusten Roman habe er eine Terra Incognita der Ukraine in die Literatur holen wollen, sagte Zhadan im Gespräch mit Prochasko. Doch im Gegensatz zu den deutschen Kritiken seines Buches finde er diese Welt durchaus nicht so brutal, aussichtslos und unzivilisiert. Vielmehr sei sein Roman ein Aufruf zum Dableiben, da alle jungen Leute aus der Donbass-Region weggehen möchten.
Als Zhadan auf die Bitte aus dem Publikum hin aufstand und eines seiner früheren Gedichte wie Beschwörungsformeln vortrug, hörte das Publikum den Jazz aus dem Donbass und war bereit, in der Terra Incognita der Ukraine zu bleiben und sie neu zu beleben.

Die Lesung kann über den folgenden Link des Litradios nachgehört werden: http://www.litradio.net/artikel/artikel/serhij-zhadan.html
oder hier direkt heruntergeladen werden: Serhij Zhadan bei Litradio

Kritikerworkshop im Literaturhaus Zürich

Januar 28, 2013

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Ein Veranstaltungshinweis: Am 3. und 4. Februar 2013 findet im Salon des Literaturhauses Zürich ein Kritikerworkshop statt. Es moderiert Ilma Rakusa. Die Buchvorstellungen und Diskussionen richten sich an Literaturkritiker und -vermittler osteuropäischer Literatur. Vier Fachleute aus Mittel- und Osteuropa werden gemeinsam mit KollegInnen aus der Schweiz Neuerscheinungen aus ihren Ländern besprechen.

Es handelt sich um zwei Romane, eine Fibel für Erwachsene und zwei Lyrikbände aus Russland, Kroatien, Ungarn und Polen: Andrei Bitows Der Symmetrielehrer, Zoran Ferićs Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr, Zsófia Báns Abendschule, Adam Zagajewskis Unsichtbare Hand und Eugeniusz Tkaczyszyn-Dyckis Geschichte polnischer Familien. Ausserdem werden auch Deutschschweizer Titel besprochen.

Am 4.2. findet um 17 Uhr eine Diskussion von Zsófia Báns Buch statt (Eintritt frei). Am selben Tag um 20 Uhr liest Serhij Zhadan aus seinem neuen Roman Die Erfindung des Jazz im Donbass (Suhrkamp 2012) und unterhält sich danach mit Jurko Prochasko (Eintritt CHF 18, ermässigt CHF 12).