Gegen das Begehren anjoggen

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w_imie_polMałgorzata Szumowskas W imię… bringt mit einem schwulen Priester eine nicht ganz neue Thematik auf die Kinoleinwände. Dennoch ist der Film mehr als eine Fußnote zu den aktuellen Debatten zu Kirche und Sexualität, denn er greift die Problematik von ,Polen B’, den vom Fortschritt vergessenen ländlichen Gebieten, allgemeiner auf.

Nachdem die Schwulenliteratur in Polen vor bald zehn Jahren das Licht einer breiteren Öffentlichkeit erblickt hat, zieht nun das Kino nach. Im Film W imię… (internationaler Titel: In the Name of…) der Regisseurin Małgorzata Szumowska ringt Andrzej Chyra in der Rolle eines Priesters darum, seine (Homo-)Sexualität unter dem Deckel zu halten. Es ist also alles andere als ein Film über gelebte Homosexualität, auch wenn der Geistliche seinem Begehren schließlich erliegt. Die Entbehrungen und Abgründe einer maroden Gesellschaft im vergessenen Hinterland des prosperierenden Polen bilden den Grundton des Streifens, der 2013 bei der Berlinale Premiere feierte.
Sexualität und Religion sind Themen, die aktuell in Polen besonders kontrovers diskutiert werden: Die katholische Kirche ist gebeutelt von Enthüllungen über sexuellen Missbrauch durch Geistliche und sucht ihre Integrität mit scharfem Geschütz zu verteidigen. Sie prangert die ‚Gender-Ideologie‘ als Ursache des Übels an und stellt sich gegen jegliche Toleranz gegenüber Homosexuellen. Doch diese Einstellung stößt vermehrt auf Unverständnis. Szumowska legt mit ihrem Film den Finger auf einen wunden Punkt des polnischen Katholizismus’ und interpretiert diesen auf ihre eigene Weise.

Schauplatz des Geschehens ist ein Dorf in der polnischen Provinz. Doch das Publikum wird keineswegs in eine ländliche Idylle eingeführt. Krude Dorfbewohner, eine Gruppe von schwer erziehbaren Jugendlichen, die mit Unflätigkeiten nicht sparsam sind, sowie einige gestrandete Städter bilden das Ensemble. In der Sommerhitze brüten alle dahin und scheinen auf etwas zu warten. In diesem Umfeld findet sich der Jesuit Adam als Dorfpriester und Mitbetreuer des Heims, in dem die ehemaligen Anstaltsjungs wohnen. Dank seiner Lockerheit erfreut er sich einer beachtlichen Popularität. Die Jugendlichen akzeptieren ihn als Vertrauensperson, und die Ehefrau des Co-Betreuers Michał, Ewa, macht Adam unmissverständliche Avancen. Adam gelingt es jedoch ziemlich gut, sich zu distanzieren. Der Sohn einer ansässigen Familie, der Außenseiter Łukasz, aber scheint eine ganz eigene Zuneigung zu Adam zu entwickeln. Mit der wachsenden Vertrautheit zwischen den Protagonisten entspannt sich ein Netz des heimlichen Begehrens, das mit dem Eintreffen des unberechenbaren Adrian aufs Äußerste gespannt wird. Adrian ‚Blondi‘ erfasst die Situation schnell und entpuppt sich als Adams amoralischer Gegenpart. Mit seinem Verhalten gefährdet er die bislang aufrechterhaltene Schein-Asexualität Adams, dem nun zunehmend die Fäden aus der Hand gleiten.

Die filmische Umsetzung des Stoffs lässt nichts zu wünschen übrig. Gekonnt wird die latente Spannung inszeniert, die im Dorf vorherrscht. Brüche werden erfahrbar, wenn scheinbar idyllische Bilder mit beunruhigendem Ton unterlegt werden. Die Sequenzen wirken verstreut, desorganisiert und fügen sich nur langsam zu einem Spannungsbogen zusammen. Doch auch dieser ist fragmentarisch und lückenhaft. Das Gefüge von gesellschaftlichem Druck und persönlichen Interessen spiegelt sich in der Perspektive wider: Die Kamera heftet sich scheinbar zufällig an Personen und illustriert so wirkungsvoll die Interdepenzen zwischen der Gemeinschaft und dem Individuum, das den Geschehnissen oft hilflos gegenübersteht. Der Plot wirkt fast zufällig und zwingt die Zuschauer immer wieder dazu, die einzelnen Sequenzen ernst zu nehmen. Diese fügen sich zu einem darüber hinaus gehenden Gesamtbild, einem unerbittlichen Diskurs, der den Protagonisten immer wieder den Boden unter den Füßen wegzieht. Beinahe scheint es, als seien subjektive Entscheidungen bloß Illusion.

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Wer W imię… gesehen hat, versteht, weshalb die katholische Kirche in Polen den Film zurückweist. Die Kirche als Institution wird in ein zwiespältiges Licht gerückt. So scheint sie ein Auffangbecken für Homosexuelle zu sein, und Unstimmigkeiten lieber zu vertuschen, statt eine echte Lösung zu suchen. Schließlich aber sind die Institution und die mit ihr verknüpften Rollen vor allem eines: Fassade. Wie ein Arbeiter im Film treffend bemerkt, sind auch die Priester nur Menschen, sobald sie aus der Soutane schlüpfen. Und so geht es in diesem Film mehr um Menschen, als um die Kirche, die lediglich als Schablone und Potenzierung einer normierten Gesellschaft dient. Der Glaube selbst erscheint weniger problematisch als die darauf aufbauende Institution und Gesellschaft. Unter diesen leidet Pater Adam ebenso wie der Junge Gajo, der selbst erste homosexuelle Kontakte zu verarbeiten hat. Eine Stunde joggen täglich ist der einzige Rat, den ihm der Priester geben kann – ein nicht unironischer Kommentar zu seinen eigenen nächtlichen Waldläufen. Trotz immer wieder aufkommender Situationskomik ist der Umgang des Films mit (Homo-)Sexualität jedoch nicht nur leichtfüßig. Gajo begeht Selbstmord, erdrückt vom paradoxen Drang, der allgegenwärtigen Homophobie zu entsprechen. Gegen die Angst vor der Stigmatisierung hilft auch alles Beichten und Joggen nichts, die Stimmung im polnischen Dorf ist unbarmherzig. Und Adam ertränkt seine Sehnsüchte im Alkohol. Obwohl er eigentlich ein Sympathieträger ist, kommen Zweifel auf, wie christlich sein bisheriges Verhalten war. Wenn sich Adam im Skype-Gespräch mit seiner Schwester rechtfertigt, er habe doch die Jungen an seinem letzten Wirkungsort nur umarmen wollen, kann er einem zwar leid tun. Dennoch bleibt der schale Beigeschmack von Machtmissbrauch und sexuellem Übergriff hängen. Auch wenn sich Adam selbst als schwul und krank, aber nicht als pädophil bezeichnet – und damit eine typische Verkürzung des homophoben Diskurses torpediert – ist sein Begehren doch unverkennbar auf die jüngere Generation gerichtet. Die Schwester jedoch geht nicht darauf ein und beendet das Gespräch wegen seiner Betrunkenheit vorzeitig. Dieser gescheiterte Austausch steht symptomatisch für die verhinderte Kommunikation. Gespräche sind kurz und abgehackt, und neben den brüsken Zurechtweisungen Michałs dominieren Andeutungen und Zweideutigkeiten – im Extremfall greift man zum Affengebrüll. Die verbale Kommunikation wird verdrängt durch eine Kommunikation der Körper. Gerade dies setzt Pater Adam zu, und er versucht, seinen nach Entfesselung strebenden Leib mit Alkohol und körperlicher Ertüchtigung zu knebeln. Auch eine Kommunikation mit Gott findet nicht statt. Das ‚Beten‘ reduziert sich auf die nächtlichen Joggingausflüge oder einen betrunkenen Tanz mit dem Papstportrait. Die Referenz auf Jesus Christus bleibt floskelhaft leer.

Die Rückwendung zur Körperlichkeit geht Hand in Hand mit der Inszenierung des Dorfes. Es scheint, als sei die Zeit stillgestanden. Schweigende Frauen tauchen auf und zurückgebliebene ‚Dorftrottel‘, Szenen wie vor hundert Jahren, die langsame und zähflüssige Realität der Provinz. Der Kontakt zwischen den Zugezogenen und den Dörflern kommt kaum zustande – und wenn die beiden Welten aufeinandertreffen, dann knallt es. Ohnehin steht auch die Zerrissenheit Adams für den Versuch, eine hybride Identität zwischen Tradition und Moderne herzustellen. Seine betonte Jugendlichkeit und die städtischen Verhaltensweisen stehen im Kontrast zu seiner Rolle als Priester. Prekär macht diese Kombination aber erst sein Begehren bzw. die Gesellschaft, die dieses verhindert. Den Taumel zwischen den Sphären verdeutlicht die Szene einer religiösen Prozession, während derer dem Kinopublikum Rockmusik der Band of Horses in den Ohren dröhnt. Noch benommen vom Alkoholrausch des Protagonisten am Tag zuvor, schwanken wir mit dem Umzug mit, unsere von der Sonne geblendeten Blicke rutschen an allen Figuren ab. Exemplarisch steht auch diese Szene für die Dumpfheit und unklare Bestimmtheit, dass sich so bald nichts Grundlegendes ändern wird in ,Polen B’, dieser Kehrseite des Fortschritts und der EU-Förderung.

W imię… (In the Name of…), Małgośka Szumowska, PL 2012.

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